RAINER WEINGÄRTNER | A R T | F I N D E R | , Katalog zum 80. Lebensjahr
Auszüge aus der EINFÜHRUNG: Dr. Gabriele Uelsberg (Direktorin des Rhein. Landesmuseum, Bonn)
...Rainer Weingärtner kommt ursprünglich aus der Zeichnung, die er während seines Grafikstudiums an der Folkwang-Schule entwickelt hat. Nachdem er die Gattung Zeichnen zugunsten der Grafik in angewandter Form über lange Jahre an Düsseldorfer Werbeagenturen umgesetzt hatte, distanzierte er sich jedoch bereits 1983 davon und begann als freier Künstler jene Welt in den Focus zu nehmen, die er zuvor in Agenturen und durch Werbemaßnahmen ästhetisiert, verschönert und zelebriert hatte.
...Ein Künstler, der den Stift beherrscht und aus der täglichen kreativen Routine eine Selbstverständlichkeit fürs Zeichnen, fürs grafische Gestalten und für die Malerei verinnerlicht hat, findet vielleicht nur dann einen „Absprung“ aus dieser Welt des schönen Scheins, wenn er sich bewusst mit Objekten und Fundstücken konfrontiert, denen jegliche Ästhetik abhanden gekommen zu sein scheint. So beginnen die ersten freikünstlerischen Jahre von Rainer Weingärtner mit der Fertigung von Objekten aus Metallschrott und technischem Fundmaterial kombiniert mit Schwemmgut natürlicher Art vom Ufer des Rheins und in letzter Zeit auch von den Gestaden des Mittelmeers. Diese Kombination zwischen menschgemachtem Ausschuß und naturhaft bedingten Strandfunden findet sich in diesen frühen Arbeiten zu skurrilen und poetischen Objekten verschmolzen...
...Nichts gibt es im Kosmos von Rainer Weingärtner, das nicht seinen Niederschlag finden kann in den künstlerischen Objekten und dennoch gleicht kein Objekt dem anderen. Und man entdeckt immer wieder aufs Neue auch den spielerischen Ansatz in seiner Kunst, der mit einem großen Maß an Humor und Ironie verbunden ist...
...Von dem Korsett ästhetischer Perfektion befreit entwickelte Rainer Weingärtner über die Objekte andere Formate... Er gehörte zu einer frühen Gruppe von deutschen Künstlern, die in ein kleines israelisches Künstlerdorf eingeladen wurden... Die zweimonatlichen Gastaufenthalte im Künstlerdorf Ein Hod hatten prägenden Einfluß. In Folge entstehen eine Reihe von Bildfindungen vor dem Hintergrund der israelischen Geschichte und der Auseinandersetzung im Nahost-Konflikt. Daraus entstand aber eine ganz eigene Auseinandersetzung, denn in den Fotos erkennt Rainer Weingärtner Strukturen, die sich immer wiederholen und die ihm eine neue Form von Graffitis vor Augen stellen, deren Inhalt er nicht erkennen kann, da er weder Hebräisch noch Arabisch zu lesen versteht...
...Diese merkwürdige Wahrnehmung, dass hier Zeichen den Raum bestimmen, die für einen Insider... eine Unzahl von kodierenden Worten und Inhalten bereithalten, während der außenstehende Fremde hier zunächst eine künstlerische oder auch informelle Qualität empfindet, lässt ihn mit diesem Thema weiterarbeiten und daraus später in Deutschland eine ganze Reihe von Bildwerken entstehen, in denen er Fotos mit Übermalungen und Plakatierungsresten in Verbindung bringt und eine völlig neue interessante Form der „Streetart“ für sich entwickelte...
...Seit diesem Zeitraum spielt die Fotografie eine immer stärkere Rolle im Werk von Rainer Weingärtner und ersetzt bis zu einem gewissen Grad die Fundstücke dreidimensionaler Natur... Seit dieser Zeit finden sich „Fotofunde“ aus Paris, New York, Bangkok und Europa in seinem Repertoire. Dennoch ist festzuhalten, dass Rainer Weingärtner nicht ein Fotograf im klassischen Sinne ist. Er nutzt die Fotografien von den unterschiedlichen Orten, von den Oberflächen und von den Fundstücken, die er gemacht hat, als Material um seine Bildwerke aufzubauen. In dieser Hinsicht hat er sich... nicht so weit von der Objektkunst entfernt...
...Rainer Weingärtner...liest viel,...schreibt Gedichte, fotografiert, sammelt Objekte wie unter anderem besonders struktuierte Steine, die er tauchend aus dem Mittelmeer hervorhebt... nur dass der Stift in der Hand von Rainer Weingärtner nie ein bloßer Bleistift ist, sondern ein Stein sein kann, eine Fotografie, ein Fundstück oder der Füllfederhalter, der ihn inspiriert ein neues Gedicht zu verfassen.
Rainer Weingärtners Kunst macht nachdenklich – so nachdenklich wie sie ihn selbst macht, wenn er sie entwickelt, aus dem Erleben des Alltags und der Welt heraus und wenn er Zeichen setzt in Form von Objekten, Manifesten und Bildfindungen.....
Gabriele Uelsberg